…und warum Diversität in diesem Bereich wichtig ist!

Aleksandra Jankovic, ehemalige CFO und Geschäftsführerin von Qidenus Technologies, weiß genau, welche kulturellen Erfahrungen und Werte für ihren Karriereweg wichtig waren. Diese bildeten die Basis für die Entwicklung ihrer Führungsqualitäten und führten zum beruflichen Erfolg in der Digitalisierung im kulturellen Sektor. Im Interview gibt sie detaillierte Einblicke in erlebte Werte, ihren Werdegang und geht auf die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung ein:
Wertehaltung und „zurück in die Heimat“
Aleksandra: Als Kind erlebte ich meine Eltern als hartarbeitende Personen, die den Grundgedanken verfolgten, irgendwann wieder zurück nach Serbien zu gehen. Sie investierten ins Heimatland. Österreich wurde dabei außer Acht gelassen. Aber nicht nur finanziell, sondern auch sozial. Das Umfeld bestand aus anderen Familien, die genau den gleichen Grundgedanken pflegten.
Meine Eltern hatten die Wertvorstellungen der Balkan-Welt nach Österreich natürlich mitgenommen. Nur hatten sie nicht bedacht, dass sich manche Werte auch in der serbischen Region einem Wandel unterzogen. Dadurch, dass sie sich im Ausland befanden, hatten sie die Vorstellungen mitgenommen, die sie zum Zeitpunkt der Auswanderung erlebten. Sie lebten weiterhin in der Vergangenheit und forcierten eine strenge Erziehung. Den sogenannten Werte-Durchbruch erlebten wir mit der Schuleinführung. Mein Bruder und ich konnten so die österreichische Kultur kennenlernen und unseren Eltern neue Sichtweisen aufzeigen.
Die Wertehaltungen in unserer Familie waren:
- Respekt gegenüber Älteren, Familienmitgliedern und dem sozialen Umfeld.
- Loyalität und Zusammenhalt in jeglicher Lebenslage.
- Direkte Kommunikation und Emotionalität innerhalb der Familie.
- Faulheit wird nicht toleriert. Ergo: sei fleißig, hartarbeitend und ehrlich.
- Anpassung, Bescheidenheit und nicht aus der Masse herausstechen.
- Extremes Gendering – Frauen und Männer haben gewisse Rollen zu erfüllen.
Die letzten zwei Punkte waren für meinen Karriereweg nicht förderlich und ich hatte das Gefühl, mich immer beweisen zu müssen. Zudem fehlte mir ein Business Network, was ich dann spürte, als ich auf den Arbeitsmarkt kam. Meine finanzielle Unabhängigkeit erreichte ich, indem ich schon neben der Schule jobbte. Dabei sammelte ich Erfahrungen in den Bereichen Call Center, Lebensmittel Einzelhandel, Wäscherei und Gastronomie. Im Einzelhandel stieg ich sogar in nur wenigen Monaten bis zur Filialleiterin Stellvertreterin auf.
Zu dieser Zeit war mir noch nicht ganz klar, was ich im Leben machen möchte. Irgendwie musste ich mich über Wasser halten. Als starke Persönlichkeit wollte ich nicht vom Elternhaus abhängig sein. Zumal deren Perspektive mich in eine Frauenrolle drängte, die ich nicht erfüllen wollte – einen „Standard“ Job und später dann Heiraten und Kinder kriegen, mit Anfang/Mitte 20 Jahren? No Way! Daher probierte ich verschiedene Bereiche aus bis ich über das AMS zu Qidenus Technologies kam.
Von der Assistentin zum CFO
Aleksandra: Durch ein AMS-Programm für junge Erwachsene kam ich zur der Stelle „Management Assistent“ bei Qidenus Technologies, ein Technologie Start-up im Digitalisierungsbereich. Meine Tätigkeiten beschränkten sich erstmal auf Backoffice, Auswertungen, Recherchen und Kommunikation mit Behörden sowie Investoren. Kurze Zeit später übernahm ich die Buchhaltung und der Finanzbereich rückte in den Vordergrund. Nachdem ich mich dann im Controlling beweisen konnte, erreichte ich die Finance Manager Position, bei der mir die Verantwortungsbereiche Finanzen und Digitalisierung inklusive unterstelltem Personal übergeben wurden. Im Endeffekt war ich für rund 30 Personen zuständig. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass mir die familiären und sozialen Werte, die ich in der Balkan Kultur mitbekommen habe, das nötige Feingefühl gaben, um den Spagat zwischen Führung und Umsatzgenerierung zu schaffen.
Nach einem kurzzeitigen Zwischenstopp als Biologie-Studentin, währenddessen ich bei Qidenus Technologies Teilzeit angestellt war, kam die CFO Anfrage. Das Unternehmen eröffnete weitere Gesellschaften in Deutschland und suchte für Österreich einen Geschäftsführer sowie CFO. Meine Loyalität zum Unternehmen, die Bereitschaft, tagtäglich Neues zu lernen, sowie ein optimales Konfliktmanagement waren die wichtigsten Faktoren, die mir diesen Weg ermöglichten. Auch der Respekt, den ich gegenüber vielen verschiedenen staatlichen Institutionen und den historischen Gütern entgegenbrachte, war für meinen Erfolg ausschlaggebend. Durch diese Sensitivität bin ich in der Lage mit zum Beispiel Kirchen, die in ihren Büchern einen hohen emotionalen sowie kulturellen Wert sehen, auf Augenhöhe zu kommunizieren und Verständnis für Ihre speziellen Bedürfnisse in Bezug auf Handhabung, Digitalisierung und Verwahrung zu zeigen, und die Projekte in einem Rahmen aufzusetzen, welcher die individuellen Sorgen und Bedenken auf ein Minimum reduziert.

Herausforderungen als CFO mit Migrationshintergrund
Aleksandra: Die größte Herausforderung für mich war es die Bescheidenheit abzulegen. Diese Wertehaltung bremste meinen Karriereweg enorm. Ich stand immer wieder im Spannungsfeld zwischen Nicht-Herausstechen und im Vordergrund stehen. Meine Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen aus der gleichen Führungsebene zeigten mir, dass ich mich von diesen Gedanken lösen musste, um ernst genommen zu werden. Hinzu kam noch, dass der Finance Sektor eine Männerdomäne ist. Da kommen dann schon mal Fragen, wie ‚Wo ist hier der Chef?‘. Als Frau wird man nicht sehr ernst genommen. Tja, und dann auch noch eine Frau mit Migrationshintergrund. Aber mein Background, die verschiedenen beruflichen Erfahrungen sowie erlebten Werte halfen mir, diese Situationen zu meistern. Mein Tipp an alle Frauen: nichts persönlich nehmen!
Zum Thema Frauen in der Technik: Die Digitalisierung im historisch-kulturellen Sektor ist in Westeuropa schon sehr fortgeschritten. Ich konnte meine technische Affinität mit der Erhaltung und Nutzung des kulturellen und wissenschaftlichen Erbes kombinieren, um so mitzuhelfen, digitale Informationen für zukünftige Generationen bereit zu stellen. Als Frau in der Technologie Branche war es zwar etwas besser als im Finanz Sektor, aber noch immer nicht optimal. Viele begegnen einem mit Skepsis, aber sobald man bewiesen hat, dass man auf dem gleichen technischen Niveau ist, bekommt Frau den ersehnten Respekt.
Aufschwung der Digitalisierung von wertvollen Gütern
Aleksandra: Der Digitalisierung im historisch-kulturellen Sektor wird leider in den Medien und der Gesellschaft zu wenig Beachtung geschenkt, obwohl der Aufschwung weltweit gerade stattfindet. Der Markt zur Sicherstellung von historischen Informationen ist riesig. Westeuropa ist schon im Endspurt und alle anderen ziehen gerade nach: Osteuropa, Afrika, asiatischer Raum, usw.
Die Vorteile der Digitalisierung im kulturellen Bereich sind die Zugänglichkeit für größere Mengen, Forschungsarbeiten, weniger Abnutzung und Beschädigungen von wertvollen, historischen Gütern. Ein Teilgebiet ist die Ahnenforschung, die mittlerweile durch viele Onlineseiten bekannt ist. Ich denke an myheritage.com oder ancestry.com, wo man online Einsicht auf örtliche Personenstandsdaten aus vergangenen Jahrhunderten bekommt. Die Originale werden einmal geholt, gescannt, indexiert, online zur Verfügung gestellt und sicher wieder verwahrt.
Der Scan-Prozess kann manuell, semi-manuell oder automatisch erfolgen. Wer mehr zur Technologie erfahren möchte, folgt dem Link: https://qidenus.com/technologies/
Eine Software ist nach der Aufnahme dafür verantwortlich, das Bildmaterial zu bearbeiten, in unterschiedliche Formate zu exportieren und speichern. Durch künstliche Intelligenz wird eine Musterkennung erzielt, die unter anderem zur Indexierung dient. Zudem wird die Suchfunktion für die Digitalisate durch diese Technologie laufend optimiert.
Zuletzt möchte ich noch einen Denkanstoß geben: Welche Dateienformate werden auch in Zukunft in Verwendung sein und wo ist der beste Speicherort für das kulturelle Erbe? Ob Cloudanbieter oder interne Speicherserver, wir müssen heute schon die Strategie definieren – inwiefern der Migrationshintergrund dann noch eine Rolle spielt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall können wir aus technologischer und kultureller Diversität Vorteile ziehen.
BALKAN MINDS sagt DANKE für das Interview und die wertvollen Einblicke!