Ethnomarketing: Trend oder Zukunft?

Vorbilder, Role Models

Wer in Salzburg lebt, kennt die Werbeplakate „Brate, owa vom Gas!“. Ethnomarketing, wie es im Buche steht. Wir wollten mehr über dieses Thema wissen und fragten bei Ivana nach. Sie ist Expertin im Ethnomarketing, war jahrelang Beraterin für Werbekunden in diesem Bereich und kreierte Werbungen speziell für die Ansprache der migrantischen Community. Neben dieser Expertise, hat sie beim dasbiber ihre eigene Kolumne „Ivanas Welt“, wo sie über unterschiedliche Themen der Community auf eine sehr interessante, lustige und sarkastische Art und Weise schreibt.

Name: Ivana Cucujkić-Panić (oder einfach Frau „Panik“ – hör‘ ich in den Wartenzimmern von Arztpraxen immer, die lustigste Version meines „Mädchen“Namens ist allerdings „Zuzugekifft“ – all time favourite!!!)
Beruf: Marketinghero, Wort-Jongleurin, Content-Magierin, persönliche Magistratsabteilung meiner Verwandten, Mutter (Der härteste von allen Jobs)
Herkunft: Vollblutwienerin (mir gehn auch alle am Oarsch, obwohl eh alles leiwand ist, oida) mit vlahischen Wurzeln aus Ostserbien.
Lebensmotto: Alles kann sein, was sein kann. & When life gives you lemons, make margaritas!
Lieblingswitz: Leider sind die meisten Balkanwitze ein bisschen dirty. Kann keinen erzählen ohne rot zu werden =)

Das finde ich schräg/lustig/krass:

  • Es ist super schräg für meine Verwandten, wenn ich nicht auf Knopfdruck den Flugplan nach Griechenland kenne oder spontan einen Kontakt ins Finanzamt/AKH/AMS/MA35 aus dem Ärmel schütteln kann.
  • Lustig, wie tief Kultur in uns sitzt. Da lebst in der dritten Generation in Österreich und greifst trotzdem noch zum Brot als Beilage zu Kartoffeln, Pasta, Reis. Brot geht einfach immer, gell?
  • Krass, dass ich mich nach 40 Jahren in Österreich immer noch mit „und woher kommst du wirklich“-Sagern konfrontieren muss, in Deutschland jedoch ohne Wenn und Aber als Wienerin durchgehe.


Das motiviert mich: Meine Eltern, die hier bei Null und Weniger angefangen und Großartiges aufgebaut haben. Meine Kinder, von denen ich „hinfallen, aufstehen, nochmal versuchen“.

Erzähle uns deine „Migrations- und Erfolgsgeschichte“ – wie, warum & wann bist du nach Österreich gekommen?
Ich bin buchstäblich a „Zugraste“. Meine Mutter hat sich hochschwanger im 9. Monat im vlahischen Dorf in den Bus gesetzt und ist 12 Stunden später am Südbahnhof (unter den älteren Balkanmenschen besser bekannt als „Sidbanof“) in Wien ausgestiegen. Mein Vater war bereits hier. Der Plan war, etwas Geld zu verdienen und wieder „runterzufahren“. Tja. Eltern wissen nur zu gut, dass Kinder einem immer einen Strich durch die Rechnung machen. Und so sind meine eben hergekommen, um zu bleiben. Das war alles Anfang der 80er Jahre.

Wenn dein Karriereweg ein Kinofilm wäre, wie wäre der Titel?
Hustle. Wer den Film nicht kennt, sollte ihn unbedingt mal ansehen. Auf meinen Karriereweg bezogen bedeutet das, dass ich neben den ganzen Ups and Downs auch mal Glück gehabt habe und auf gute Leute gestoßen bin.

Eine Station auf deinem Karriereweg war die Beratung von Werbekunden, wie sie speziell migrantische Communities ansprechen sollen. Wie muss eine Werbeanzeige aufgebaut sein, damit sie deine Aufmerksamkeit bekommt?
Sie muss Emotionen auslösen. Am besten Mitten ins Herz treffen. Werbung funktioniert nicht ohne Emotionen. Sie muss mich als Zielgruppe abholen. Die Menschen, die diese Werbung entworfen und mit Text/Musik/Protagonist:innen/Testimonials besetzt haben, müssen sich vorher eine Menge Gedanken über mich, meine Vorlieben, meine Weltanschauung, meine ganze Lebenswelt gemacht haben. Wenn diese Arbeit im Vorfeld nicht passiert, merkt man das daran, dass Werbung langweilig, plump, nicht authentisch, aufgesetzt, von oben herab/diskriminierend/sexistisch daherkommt. Damit kann natürlich auch Aufmerksamkeit erzeugt werden, wenn genau das das Ziel sein soll.

Die klassische Segmentierung von Zielgruppen, die vor allem den weißen, heterosexuellen, schlanken Lifestyle Konsumenten ansprechen soll, hat ausgedient.

Ivana Cucujkić-Panić

Ist Diversity Marketing gerade ein Hype/Trend oder ist es die Zukunft?
Wenn man Diversity als festen Bestandteil der Unternehmenskultur sieht (wohin es richtigerweise hingehört), dann ist Diversity Marketing the state of the art der werblichen Kommunikation, eine Neuausrichtung klassischer Marketingarbeit, die mit gesellschaftlichen Entwicklungen einhergehen. Was heißt das? Die klassische Segmentierung von Zielgruppen, die vor allem den weißen, heterosexuellen, schlanken Lifestyle Konsumenten ansprechen soll, hat ausgedient. Diversity Marketing rückt Personengruppen der Gesellschaft in den Fokus, die als Konsumenten ignoriert werden. In den Kommunikationsstrategien und Kampagnen werden Faktoren wie Alter, sexuelle Orientierung, Geschlecht, religiöse Zugehörigkeit, Menschen mit Behinderungen mitbedacht und gestalterisch integriert. Und das nicht einmalig als eine Special Kampagne, damit man jetzt z.B. die LGBTQ*-Community erreicht, sondern das ganze Jahr über. Immer und ständig. Weil das gelebt wird als Haltung, weil es zur Brand-Image gehört. Weil man zeigt, wir nehmen diese Personengruppen ernst als Konsument:innen. Diversity Marketing hatte in den letzten 20 Jahren immer wieder Hypes erlebt. Dabei blieb es aber, weil es nie konsequent gemacht wurde. Zu Wahlen oder bestimmten Feiertagen (gilt übrigens auch bei Frauen, siehe Weltfrauentag-Werbeschmäh) packte man hier und da einen Migranten aus, den man über private Kontakte kannte und stellte ihn für seine Zwecke vor den Vorhang (Strache konnte das extrem gut, weil es sich nicht zu blöd war, auf Augenhöhe mit der Zielgruppe zu gehen), und nach der Wahl ging man zum Tagesgeschäft über. Jetzt ist aber tatsächlich gesellschaftlicher und politischer Druck da. Die letzten Jahre brachten so viele sozioökonomische Umwälzungen (Metoo-Bewegung, Corona, Ukraine, Mental Health, LGBTQ*-Bewegung, Body Positivity,…), dass man hier handeln muss. Ist definitiv kein Hype mehr. Es trendet gerade. Diversity Marketing bleibt. So wie das Internet geblieben ist. Alle, die das nicht so sehen, werden früher oder später ins ökonomische Abseits geraten. Aktuelles Beispiel: Die Kritik an „Licht ins Dunkle“: Von der Idee und Intention gut. Aber muss man Menschen mit Behinderung wirklich auf diese bittstellerische Art inszenieren und ihr Leid für die potenziellen Spender:innen mit einem Entertainment-Mascherl verpacken? Hier gehört mindestens ein Relaunch her.

Wie könnte eine authentische Diversity Marketing Maßnahme aussehen, damit zum Beispiel Menschen mit Wurzeln vom Balkan angesprochen werden?
Beispiel Corona-Pandemie: Während der gesamten Pandemie hat die Bundesregierung Werbespots in Auftrag gegeben. Mal ging’s um die Impfkampagne, mal ums Abstandhalten, mal wurden den Menschen in den systemrelevanten Berufen gedankt. Das Einfachste wäre gewesen, mal den kleinen Dejan die Hände richtig waschen zu lassen. Eine Jelena hätte die Schulfreundin/Oma/Bruder zur Impfung motivieren können. Und auch Boban, der Busfahrer (eine Menge Migranten vom Balkan arbeiten bei den Öffis), und Marica an der Billa-Kassa hätten sich ein Danke verdient. Leider wurde ein großer Teil der gesamten betroffenen österreichischen Gesellschaft in der Kommunikationsstrategie nicht inkludiert. Meine Vermutung: Es stand auch nicht im Briefing vom Kunden (Bundesregierung)…

Was sind die Gefahren einer Diversity Marketing Strategie? Könnte der Schuss auch nach hinten los gehen?
Könnte total nach hinten losgehen! Dazu liefern die großen Player leider laufend Beispiele. Wenn man im Pride-Month den ganzen Juni über die Profilbilder auf den Social Media Kanälen durch die Regenbogenfahne austauscht und am 1. Juli zu Business as usual übergeht und LGBTQ* oder Mütter, Menschen mit Behinderung, etc. im Unternehmen auch sonst nicht sichtbar sind, ist das nicht nur unglaubwürdig, peinlich und letztlich verschwendetes Budget, sondern man verscherzt es sich auch mit dieser Zielgruppe nachhaltig. Man muss sich dann beispielsweise den Vorwurf des Pinkwashings oder der kulturellen Aneignung gefallen lassen. UND! Alle Werbetreibenden/unternehmen müssen sich mit den Lebenswelten ihrer Zielgruppen sehr gut auskennen, einen Deep Dive machen, kulturelle, religiöse Nuancen herausarbeiten, breite Marktforschung betreiben, kurz: ihre Arbeit einfach ordentlich machen. Dann wird Diversity Marketing nachhaltig, strategisch und erfolgreich.

Hast du einen Abschlusssatz für uns?
Ich möchte an dieser Stelle nur ein großes BRAVO für Balkanminds aussprechen. Vorbilder und positive Beispiele von Unternehmertum, Erfolg, Lebens- und Karrierewegen sind so wichtig. Für Kinder, Jugendliche, als auch Erwachsene. Davon gibt es aus den unterschiedlichsten Communities zu wenig Sichtbarkeit in der breiten Öffentlichkeit. Balkanminds schließt hier eine Lücke. Und das gehört einfach gefeiert!

Ich bin selbst als Integrationsbotschafterin tätig und treffe auf viele Jugendliche, vor allem Mädchen, die in mir, in meinem Background ein Rolemodel sehen, mit dem sie sich identifizieren können. Und plötzlich wird ihnen bewusst, dass ihre Träume nicht unerreichbar sind. Einfach nur deswegen, weil „eine wie sie“ das auch geschafft hat.


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