Konflikt und Integration

Vorbilder, Role Models

Die erste Generation der Zuwanderer beschäftigte sich mit dem Thema Integration noch sehr wenig. Erst mit deren Kindern oder Enkeln rückte das Wort in den Vordergrund. Wir haben uns zu diesem Thema eine Expertenmeinung gesucht. Nedžad erzählt im Interview, warum Integration zu mehr Konflikten führt und was die Ideologie der Ungleichwertigkeit ist.

Name: Nedžad Moćević
Beruf: Forscher und Trainer
Herkunft: geboren in Deutschland mit Wurzeln in Bosnien und Lungau
Lebensmotto: Schauen wir mal, dann sehen wir‘s eh.
Das finde ich krass: So „einfache“ Dinge, die für uns mittlerweile selbstverständlich sind, aber irgendwann mal wer erfunden hat und es revolutionär gewesen sein muss für damalige Verhältnisse, wie z.B. ein Spiegel.
Das motiviert mich: Menschen.

Was machst du genau in der „interkulturellen Beratung“?
Ich biete Beratungen, Workshops und Projekte für Unternehmen, Organisationen, Bildungseinrichtungen, uvm. an. Also im Grunde alle, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen oder manchmal müssen.

Du beschäftigst dich mit der Ideologie der Ungleichwertigkeit. Was ist das?
Das sind alle Ideologien, die Menschen zunächst mal in klar getrennte Schubladen stecken und dann negative Zuschreibungen und Vorurteile über diese Gruppen verbreiten: wie z.B. Rassismus, Sexismus, Homophobie und sonstige Formen von Abwertungen.

Mich interessiert dabei warum solche Ideen überhaupt entstehen, also wer profitiert davon, wer setzt sie in die Welt und in welcher Form äußern und verbreiten sie sich in unserer Gesellschaft? Das kann körperliche Gewalt sein, die damit gegen bestimmte Gruppen gerechtfertigt wird, das können aber auch Formen von psychischer und sozialer Gewalt sein. Beispiele wären, dass Menschen beschimpft oder vom Arbeitsmarkt verdrängt werden aufgrund ihrer Sexualität und/oder Religion.

Was würdest du Menschen empfehlen, die so etwas erleben?
Ich erlebe unter anderem Opfer von Rassismus, Sexismus sowie Homophobie in meiner Arbeit und hier gibt es eines, was ich ihnen allen mit auf den Weg gebe. Es passiert nämlich oft, dass selbst die Opfer dieser Ideologien beginnen sich selbst oder der eigenen Community dafür die Schuld zu geben, wieso sie Opfer wurden: Hätte ich mich bloß anders verhalten, hätte ich was anderes angezogen, würden „unsere Leute“ kein schlechtes Bild auf uns werfen, dann hätte es den Rassismus, Sexismus oder was auch immer nicht gegeben.

Das ist aber ein fataler Gedanke, der ausblendet, dass bei Gewalt, egal ob psychischer oder körperlicher Art, immer der/die Täter:in die Verantwortung trägt und ich oder wir hätten uns „perfekt“ verhalten können, er oder sie hätte mich trotzdem attackiert, weil das Problem nicht bei mir beginnt, sondern im Kopf des/der Täter:in.

Ich bin gut wie auch immer ich bin und wer mit meiner Identität ein Problem hat, dann ist das sein oder ihr Problem und nicht meins. Nicht die Opfer von Rassismus, Sexismus, Homophobie, etc. sind dafür verantwortlich „Vorurteile zu bekämpfen“, sondern in erster Linie die, die sie äußern, von ihnen profitieren und sie als Grundlage für Gewalt gegen „Andere“ verwenden.

Integration gelingt, aber sie führt nicht zu mehr Harmonie, wie oft angenommen wird, sondern zu mehr Konflikten.

Nedžad Moćević

Welche Trends beobachtest du gerade, wenn es um Ungleichwertigkeit geht?
Ich beobachte einerseits einen Anstieg an Diskriminierungen in unterschiedlichen Lebensbereichen. Teils, weil Dinge salonfähiger geworden sind, aber auch teils (und das ist das positive), weil Menschen sensibler geworden sind und sich nicht mehr alles gefallen lassen. Da merkt man z.B. in den Migrant:innen-Communities einen großen Unterschied zwischen den ersten und zweiten Generationen und den dritten und vierten.

Während die erste Generation überhaupt froh war hier zu sein und ein Dach über dem Kopf und eine Arbeit zu haben und für sie Zugehörigkeit zur „Gesellschaft“ keine so große Rolle gespielt hat, sind jetzt andere Generationen da, die fordern, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnet und die nicht als „Gäste“ behandelt werden wollen und auch konfliktfreudiger sind.

Das heißt „Integration“ gelingt, aber sie führt nicht zu mehr Harmonie, wie oft angenommen wird, sondern zu mehr Konflikten, was wiederum wesentlicher Bestandteil von demokratischen Gesellschaften ist, damit Gleichberechtigung entsteht oder erkämpft wird.

Du bist auch ein Buchautor. Erzähle uns mehr davon!
Ja, ich war in diesem Fall Mitherausgeber mit einem Kollegen. Wir wollten uns in diesem Buch eine bestimmte Form der „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ anschauen, genauer gesagt den „dschihadistischen Salafismus“. Wir haben uns im ersten Teil den theoretischen Hintergründen gewidmet und im zweiten Teil angeschaut, welche Beiträge die Zivilgesellschaft im Allgemeinen und die muslimische im Speziellen beiträgt oder beitragen kann, um dagegen präventiv vorzugehen.

Mehr Informationen von und zu Nedžad gibt es auf seinem Instagram Profil @dirfehltderfunk oder auf seiner Website!


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